Kreuzberger Lieblinge

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Vom Döner zur Sterne-Cuisine: In Berlins einst krawalligstem Kiez sind heute einige der kreativ prägendsten Restaurants der Republik zu Hause. Wir stellen unsere Favoriten vor.


Die beste Peking-Ente Berlins gibt es nicht beim Chinesen, sondern beim gebürtigen Kölner Philipp Vogel im Orania. Mittelpunkt ist ein riesiger Ofen, der eigens für die Zubereitung der berühmten Spezialität in China gefertigt wurde. Hier hängt das Geflügel bis zur vollendeten Knusprigkeit. So kommt es, dass sich an lauen Sommerabenden immer mehr Gourmettouristen unter das Partyvolk mischen, das die Gehsteige der Oranienstraße bevölkert – sie kommen in diesen immer noch etwas rauhen Teil Kreuzbergs eigens, um Vogels „X-berg-Duck“ zu probieren.

Orania

© Bild 1: PCTRBRLN; Bild 2: Fridolin; Bild 3: Mario Heller

Hinter der prachtvollen Sandsteinfassade des Orania ist die Ente in vier Gängen Kult: erst Enten-Dashi mit gefülltem Dumpling, dann die am Tisch vor den Augen der Gäste mit scharfem Messer tranchierte knusprige Haut, mit Gurke und süßlicher Hoisinsauce in frisch gebackene hauchdünne Crêpes gewickelt. Höhepunkte sind die Entenbrust vom Grill mit sauer-scharf mariniertem Pak Choi und schließlich gebratener Reis mit gezupftem Keulenfleisch. Vogel, der im Lauf seiner Karriere knapp drei Jahre in Shanghai kochte, weiß, worauf es ankommt und verbrachte viel Zeit mit der Suche nach dem richtigen Grundprodukt: „Die Enten aus regionaler Zucht rund um Berlin hatten zu wenig Fett und trockneten im Ofen aus.“ In Irland trieb er die perfekte Stockente auf, auf einer Geflügelfarm, die auch nach Peking liefert.

Rutz Zollhaus

Die chinesisch inspirierte Ente passt gut in den Kiez, wo Menschen aus aller Herren Länder zusammenleben. „Das Multikulturelle macht es so spannend“, sagt Vogel. „Hier ist alles erlaubt, das macht den Reiz aus.“ Und doch gibt es auch in Kreuzberg idyllische Ecken, zum Beispiel am grünen Ufer des Landwehrkanals. Hier betreibt Berlins einziger Drei-Sterne-Koch Marco Müller vom Rutz einen Ableger, das Rutz Zollhaus, wo man mitten in der Millionen-Metropole im Grünen sitzt und Goldforelle mit Knochenmarkschaum oder Rehrücken aus der Schorfheide isst. Ein paar hundert Meter weiter haben am Paul-Lincke-Ufer Lokale ihre Terrassen hinter schmiedeeisernen Zäunen mit viel Grün und bunten Glühbirnen geschmückt. Hier bietet Sebastian Frank im Horváth (2 Sterne) eine der eigenständigsten Küchen im ganzen Land, verbindet das reiche kulinarische Erbe Österreichs und Osteuropas mit neuer Regionalküche skandinavischer Prägung. Mittlerweile kommen seine Menüs fast ganz ohne Fisch und Fleisch aus, strotzen aber nur so vor Umami. Bestes Beispiel: die aus Kräuterseitlingen gefertigte, ungeheuer schmelzige falsche Lebercreme, glasiert mit Apfelbalsam-Reduktion, begleitet von einem Butterstriezel mit Marillenkernöl-Aufstrich.

Restaurant Horváth

© White Kitchen

In einer anderen Ecke des Bezirks, nahe dem Checkpoint Charlie, liegt jene Adresse, die Gourmetküche aus Kreuzberg international bekannt machte: das Restaurant Tim Raue (2 Michelin-Sterne). Seit der Chef auf Netflix porträtiert wurde und sein Haus im Ranking The World’s 50 Best Restaurants rangiert (derzeit Platz 31), sind Reservierungen aus London, Tokio oder New York an der Tagesordnung. Raue ist nicht nur gebürtiger Berliner, sondern echter Kreuzberger. Seine Jugendjahre in einer Straßengang wurden medial fast so ausführlich gewürdigt wie seine Kochkünste. Er erinnert sich an das Kreuzberg der frühen 1990er-Jahre, als die ersten Gourmetrestaurants von Linksautonomen erbittert bekämpft wurden: „Damals war es hier noch sehr unwirtlich.“ Das ist lange her, heute sind im Kiez einige der derzeit prägendsten Berliner Restaurants zu Hause: „Kreuzberg zieht innovative Geister an“, sagt Raue. „Das war schon immer so.“

Restaurant Tim Raue

Portrait © Nils Hasenau

Auch Max Strohe kann sich für sein Tulus Lotrek (1 Stern) keinen anderen Standort vorstellen. Der benachbarte Stadtteil Mitte war ihm schon bei der Eröffnung 2015 „zu glatt“, Kreuzberg schien perfekt: „Es steht mit seiner Altbaupracht für Tradition, aber hier war immer auch Rebellion und Innovation.“ Ideal für den jungen Gründer: „In einer perfekt renovierten Investorenbude hätte ich mich nicht gesehen, da hätten wir uns niemals so kreativ entwickeln können.“ Strohes Küche ist aromenstark und voller gewitzter Ideen wie dem vegetarischen „Döner“, den man als Liebeserklärung ans Viertel werten kann: Statt Fleisch serviert er ihn mit karamellisiertem Sellerie, den er mit türkischem Joghurt einpinselt und mit Chili-Sumac-Gewürzmischung schärft. Und wenn heute der Service „zweimal Döner, Tisch 17“ in die Küche ruft, dann freut sich der Chef: „Das kommt gut in einem Kreuzberger Gourmetrestaurant.“

Tulus Lotrek

© Bild 1: Philipp Dreyer; Bild 2: Robert Schlesinger; Bild 3:André Wunstorf

 

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