Unter Strom

E-mobilität

Die Umrüstung von Oldtimern mit Elektromotoren lässt traditionelle Puristen vielleicht den Kopf schütteln – aber sie bietet fantastische Möglichkeiten, um alte Schätze wieder auf die Straße zu bringen.


In der Automobilbranche treffen momentan zwei Trends aufeinander und schaffen eine wachsende Mikronische: die Welt der elektrifizierten Oldtimer. Auf der einen Seite steht das sogenannte Restomodding, die Modernisierung klassischer Fahrzeuge, um sie komfortabler und benutzbarer zu machen. Bis vor Kurzem konzentrierte es sich hauptsächlich auf die Restaurierung oder Aufrüstung von Modellen mit Benzinmotor.

Gleichzeitig zeigen sich immer mehr Autokäufer offen für den Kauf eines Elektrofahrzeugs. Das Ergebnis ist die steigende Nachfrage nach elektrifizierten Oldtimern, bei denen der ursprüngliche Motor durch einen modernen elektrischen Antrieb ersetzt wurde.

Auch wenn ein solches Verfahren einige Puristen auf die Palme bringen mag – die Vorteile sind doch zahlreich. Zum Beispiel in Sachen Zuverlässigkeit. Während Oldtimer Zeit, Geld und Geduld erfordern, um sie auf der Straße zu halten, benötigen gute elektrische Systeme nur wenig Wartung. Und wenn doch einmal Probleme auftreten, können sie fast sofort diagnostiziert werden.

Voitures Extravert

Dieser Umstand allein zieht zahlreiche neue Interessenten an. „Sie sind typischerweise zwischen 40 und 50 Jahren und besitzen vielleicht schon einen Porsche oder einen ähnlichen Klassiker, den sie regelmäßig fahren wollen", sagt Martijn van Dijk von Voitures Extravert, einem niederländischen Unternehmen, das sich auf elektrifizierte Porsche 911 aus den 1960er- und 1980er-Jahren spezialisiert hat.

„Darunter sind auch Leute, die sonst nie einen Oldtimer kaufen würden, weil sie keine Lust haben, im Dunkeln am Straßenrand zu sitzen, wenn sie eine Panne haben.“ Sein Unternehmen konzentriert sich auf den Porsche 911er. Jede „Quintessenza“, wie das Endergebnis genannt wird, wird in einer sehr hochwertigen Ausführung geliefert, wobei neben den Originalspezifikationen auch moderne Details wie Sitzheizungen und elektrische Fensterheber verwendet werden.

Everrati

In England bietet Everrati eine maßgeschneiderte Umrüstung jedes gewünschten Oldtimers an. Das Aushängeschild des Unternehmens ist ein wunderschöner Mercedes-Benz W113 SL Pagoda, bei dem die ursprüngliche Leistung um 12 PS erhöht und die Zeit von 0-100 km/h um 1,8 Sekunden verkürzt wurde. Für einige ist eine solche Behandlung eines hochgeschätzten Klassikers natürlich ein Sakrileg. Denjenigen, die noch am Verfahren zweifeln, versichern Everrati und andere Betreiber, dass ihr Verfahren vollständig reversibel sei.

Ein einzigartiges Modell, das ebenfalls eine reversible Behandlung erhalten hat, ist der Aston Martin DB6 Mk II Volante aus dem Jahr 1970. Er wurde vom Team von Aston Martin Works entwickelt, das einen innovativen Kassetten-EV-Antriebsstrang eingesetzt hat, der auf dem Originalgetriebe und den Motorhalterungen sitzt. Diese Option, die als Machbarkeitsstudie gedacht war, steht nun jedem Oldtimer-Besitzer zur Verfügung, um seinen wertvollen Besitz zukunftssicher zu machen – für eine Zeit, in der das Fahren von Benzinautos vielleicht nicht einmal mehr legal ist. Laut Paul Spires, Präsident von Aston Martin Works, "können wir uns auch vorstellen, dass Sammler ihrer Sammlung eine weitere Dimension hinzufügen, indem sie auf Elektroantrieb umgerüstete Oldtimer in Auftrag geben".

Während der Aston Martin mit einem Preis von über 1,3 Millionen Pfund (1,4 Millionen Euro) zu Buche schlägt, bewegt sich London Electric Cars am erschwinglicheren Ende des Marktes – und das ganz bewusst, denn die Pläne des Unternehmens sind weitreichender. Im Kern sieht das Unternehmen in der Umrüstung von Elektroautos einen wesentlichen Baustein für eine nachhaltige Zukunft, da so vermieden werden kann, dass Millionen von alten Autos auf die Mülldeponie wandern. Zu seinem Portfolio gehören alte Minis und Morris Minors, aber das Unternehmen ist überzeugt, dass jedes Auto umgerüstet werden kann.

Das jüngste E-Oldtimer-Prachtstück ist zweifellos der atemberaubende Umbau eines Rolls-Royce Phantom II aus dem Jahr 1929 durch das Unternehmen Electrogenic. Der Phantom II wurde von einem privaten Sammler in Auftrag gegeben und das Projekt gilt als die komplexeste Umrüstung eines Oldtimers mit Elektroantrieb, die bisher durchgeführt wurde. Wie bei allen Projekten von Electrogenic ist der Umbau vollständig reversibel.

London Electric Cars

Electrogenic © Finn Beales

Die Batteriekonfiguration wurde speziell auf das betreffende Modell zugeschnitten; sie ist in der ursprünglichen Architektur des Fahrzeugs untergebracht, sodass keine Änderungen an der Struktur selbst vorgenommen werden. Es handelt sich um einen sorgfältig ausgefeilten Prozess, bei dem ein 3-D-Scan der Fahrzeugstruktur durchgeführt wird, bevor das optimale Batterieeinbausystem in CAD gerendert wird.

Neben maßgeschneiderten Lösungen wie beim Phantom ist Electrogenic aber auch für seine "Drop-in"-Elektroauto-Umrüstsätze für beliebte Modelle bekannt, die über ein internationales Netzwerk von Partner-Installateuren angeboten werden.

Umgewandelte Oldtimer sind eine attraktive Option für alle, die den Look und das Fahrgefühl klassischer Autos lieben. Ein weiterer großer Anreiz ist die Geschwindigkeit. Dank des sofortigen Drehmoments, das ein Elektroantrieb liefert, sind sie fast immer schneller als ihr ursprüngliches Gegenstück, was die Fahrt in einem charaktervollen Klassiker noch angenehmer macht. Eingefleischte E-Mobilität-Gegner sollten sich vielleicht überlegen, ob dies nicht der richtige Weg ist, um einzigartige Autos länger am Leben zu erhalten.

 

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