Der Süden liegt so nah

GOURMET-UPDATE

Mediterrane Gefühle ohne weite Anreise – der Gardasee lockt nicht nur mit vielen Sonnenstunden, sondern auch mit neuen Hotelkonzepten und hochkarätigen Gourmetadressen.


Der Duft von Rosmarin und Thymian, wahlweise auch von Flieder und Jasmin. Die üppig grünen Limonaia, die für den See so typischen Zitronengärten. Und natürlich das milde, oft selbst in den Wintermonaten schmeichelnde Klima! Keine andere Region verkörpert für uns Nordlichter so sehr den (rasch erreichbaren) Süden wie der Gardasee. Lange war er vor allem ein Ziel für Sonnenhungrige und Surfer, doch nun locken neue Hotelprojekte und hoch ausgezeichnete Restaurants auch Lebenskünstler und Gourmets an den See, wo nicht nur Zitronen, sondern auch Oliven und Palmen gedeihen.

Cape of Senses

Postkartenreif ist der Blick von der weitläufigen Dachterrasse des neuen Cape of Senses, das 200 Meter oberhalb des kleinen Orts Torri del Benaco am Ostufer liegt. Ungeachtet des englischen Namens ist es ein rein italienisches Projekt, erdacht von Südtiroler Hoteliers und Architekten. Ultramodern im Look wurde das Haus in den Hang hineingebaut und fügt sich auch sonst mit klaren Linien, Erdtönen und heimischen Materialien harmonisch in die Umgebung. Beim Abendessen im Gourmetrestaurant Al Tramonto (benannt nach den von hier oben besonders spektakulären Sonnenuntergängen) hat man das Gefühl, den See ganz für sich allein zu haben.

Der Blick ist allerdings vergessen, sobald der junge Küchenchef die ersten Amuse Bouches an den Tisch schickt. Francesco Pavan ist ein Talent, von dem man noch viel hören wird. Sein Handwerk lernte er bei Drei-Sterne-Koch Heinz Beck in Rom – man schmeckt es bei den überraschenden Aromenkombinationen, die am Gaumen perfekt aufgehen. Zum Beispiel, wenn er gleich zum Start zum Rindertatar dreimal Auster kombiniert – roh, als Mayonnaise und als gewitztes drittes Element Austernkraut, das der Meeresfrucht geschmacklich verblüffend nahekommt. Ein Highlight auch das Risotto, perfekt al dente und mit fruchtigen Noten, die es einer Amarone-Reduktion und Sauerkirsch-Mostarda verdankt, einen reizvollen Akzent setzt Bittermandelaroma von zerstoßenen Kirschkernen.

Eine weitere Terrasse für Gourmets versteckt sich am gegenüberliegenden Ufer bei Gargnano. Das dezent schmiedeeiserne Tor rechts der Uferstraße würden Nicht-Eingeweihte glatt übersehen. Es gehört zur Villa Feltrinelli, einem der besten Häuser Italiens. Wer klingelt und ein Zimmer oder einen Tisch gebucht hat, wird eingelassen – in eine ganz eigene Welt. „Eine Welt, die es eigentlich gar nicht mehr gibt“, so sagt es Hausherr Markus Odermatt. Der Schweizer führt die 1892 erbaute, komplett unter Denkmalschutz stehende Villa Feltrinelli, seit sie 2001 zum Hotel umgewidmet wurde. Hotel? Er schüttelt den Kopf: „Wir sind kein Hotel, sondern ein Haus mit Gästen.“ Tatsächlich fühlt man sich eher wie zu Besuch auf einem privaten Landsitz. Ein Beispiel: Das Frühstück, selbstverständlich à la carte, wird ganztägig und überall serviert. Wenn der Gast es wünscht, auch unter der 300-jährigen Magnolie im Park.

In diesem fast unwirklichen Ambiente kocht der höchstbewertete Chef am See. Die berühmten Roten Garnelen aus dem sizilianischen Mazara mariniert er roh, sodass sie ihre feine, fast süßliche Aromatik perfekt ausspielen können, und richtet sie mit Sauerkirschen und Mandeln zum Kranz an. Am Tisch gießt der Service fruchtige Kirsch-Gazpacho an. Stefano Baiocco hat in der Villa Feltrinelli mit seiner an Kräutern und Blüten reichen Küche zwei Sterne erkocht, ein Signature Dish ist die „Plankton-Lasagne“: Schon der Pastateig enthält verschiedene Algenarten, die Füllung ist 100 Prozent pflanzlich mit Grünalgen, Irish Moos und Wakame, sodass jeder Bissen unterschiedliche Aromen und Texturen aus dem Meer bietet. Auch Baioccos Tagliolini sind alles andere als gewöhnlich, mit einer Sauce auf Basis frisch gemähter Gräser, in Kamillesud gekocht, für Crunch sorgen getrocknete Blütenpollen.

Foodies aus aller Welt, die in der Villa Feltrinelli absteigen, zieht es auch ins benachbarte Gardone Riviera. Die Tische im Lido 84 sind heiß begehrt, eine Reservierung wird dringend empfohlen. Denn seit Riccardo Camanini im Ranking World’s 50 Best Restaurants auf Platz 7 landete, wollen alle seine unkonventionelle Küche probieren. Im Grunde ist sie klassisch italienisch – nur nicht so, wie man sich das landläufig vorstellt. Bestes Beispiel sind seine legendären Rigatoni Cacio e Pepe „en vessie“: Die Pasta wird in einer Schweinsblase gegart, die während des Kochprozesses immer wieder sanft geschüttelt wird. So bildet der darin enthaltene Saft mit dem Käse eine Emulsion, die dem fertigen Gericht seine perfekte Cremigkeit schenkt. Bei gutem Wetter sitzt man auf der Terrasse direkt über dem Wasser, aus den umliegenden Zitronenhainen zieht frischer Duft, man spürt die weiche, warme Luft auf der Haut – und da ist es dann wieder, dieses unvergleichliche Gardasee-Gefühl.

 

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